Mittwoch, 5. Februar 2020

Zum 85. von Jürgen Ploog

Einer ploog über mein Kuckucksnest

Ich weiss noch, als ich Jürgen Ploog an einem kalten Winterabend in Frau Gerolds Garten in Zürich anlässlich einer Burroughs-Lesung das erste Mal traf. Wer Naked Lunch als Theaterstück übersteht, der kann es auch getrost mit Ploog aufnehmen, ging es mir durch den Kopf, als ich Herrn X. für die Lesung zusagte. Vielleicht wars auch Sommer, die sind in der Schweiz mitunter wie anderswo der Winter. Alles in allem habe ich eher verschwommene Erinnerungen an diese Nacht. Es muss so vor zehn Jahren gewesen sein. Oder vor fünfzehn. Vielleicht auch vor fünf, denn da wäre Ploogs Busenfreund Burroughs 100 Jahre alt geworden, der mit dieser Lesung geehrt werden sollte. 

Als ich Frau Gerolds Garten durch die Vordertür betreten und mich vorgestellt hatte, schob mich irgendein Angestellter zur Hintertür wieder raus, hinter der ein Wohnwagen für die Künstler stand. Mit einer Handbewegung wies er mich an, selbsttätig in selbigen einzutreten. Ich tat wie mir geheissen und betrat einen rauch- und rotlichtgeschwängerten Raum, der ein bisschen aussah, wie ich mir eine old fashion Verrichtungsbox vorstellte. In der linken Ecke sass Herr X. auf einem Sitzkissen und sprang zu meiner Begrüssung freudig auf. In der rechten Ecke sass der grosse Ploog in Trenchcoat und mit Hut. Ein Gentleman, ein Sunnyboy oder irgendwas dazwischen. 


Irgendwo sass, soweit ich mich erinnere, eine junge Frau. Es könnte Frau Y. gewesen sein oder irgendeine andere Hübsche. Vielleicht war auch keine weitere Frau anwesend und ich erblickte mich im Spiegel, mit Sicherheit kann ich es nicht sagen. 

«Das ist die grossartige Frau Klossek», sagte Herr X. zu Jürgen «und das ist Jürgen Ploog», sagte er zu mir. Ich wusste, dass das Jürgen Ploog ist, der mich mit einem Blick anschaute der sagte: Muss man die kennen und wenn ja, mir doch egal. 

Beide – oder alle drei – hatten Gläser in der Hand, in denen Tee, Whiskey, Wasser oder sonst irgendeine Flüssigkeit waberte, ich kann es nicht sagen. Jürgen hatte etwas aus der Zeit Gefallenes, was mir sehr gefiel. Die Konsequenz, mit der er mich ignorierte, war bewundernswert. 

Wir unterhielten uns oder auch nicht. Ich weiss, dass ich etwas sagte und dass Jürgen etwas sagte, aber das muss nicht zwangsläufig heissen, dass wir miteinander sprachen. Dann begann die Lesung. Im muschepupuigen Dämmerlicht einer alten Nachttischlampe las Herr X. irgendetwas und Jürgen Ploog – noch immer in Mantel und Hut – las irgendetwas.

Auch ich, soweit ich weiss. Obwohl ich das mit Sicherheit nicht sagen kann, denn in meiner Erinnerung sitze ich im Publikum. 
Inhaltlich ist mir nichts geblieben, aber da es um Burroughs ging, kann es nur etwas mit Drogen und Lemuren zu tun haben. Cut-up lässt sich sowieso schwer merken, finde ich. Ploogs gute Schreibe kannte ich, weil ich sie gelesen habe. Meine Schreibe kannte er nicht, weil er sie nicht gelesen hat. 

Irgendwann im Laufe des Abends stand ich vor der Tür des Lokals und rauchte, obwohl ich Nichtraucher bin. Neben mir ein Arbeitskollege, der mir gerade noch gefehlt hatte. Im Schummerlicht der Strassenlaterne sah es auch, als habe er einen Heiligenschein. Wer ihn kennt weiss, eindeutig eine Sinnestäuschung meinerseits. Herr X. kam abhanden. Wie mein Verstand, in dieser Nacht, die im Nebel der Stadt waberte wie Waldmeister-Götterspeise, die man mit Absinth versetzt hatte. Ich hob mein Glas auf Burroughs und auf Ploog, der in diesem Moment in die Dunkelheit abging, sich aber wie Columbo nochmal umdrehte, als wolle er «Nur noch eine Sache» sagen. Ploog winkte aber ab und verschwand. Cut.



Hinweis:


Cut-up Connection – ein Abend für Jürgen Ploog

Mit Claire Plassard, Pablo Haller und Florian Vetsch

Aus Anlass des 85. Geburtstags des Autors lesen Claire Plassard, Pablo Haller und Florian Vetsch Texte von und zu Jürgen Ploog.

Im Anschluss daran wird als Late Night Show das Ploog-Filmporträt von Daniel Guthmann «Cut-up Connection oder Die Algebra des Überlebens» (1998) aufgeführt; der Regisseur ist anwesend; dazu gibt es braunen Tequila mit Orangenschnitzen und Zimt frei Haus.

Eine Ausstellung zeigt Erstausgaben von Jürgen Ploog, ohne den es die deutschsprachige Pop- und Beatliteratur so nicht gäbe.

7. Februar 2020 - 20:00

Kult-Bau, Konkordiastrasse 27, St. Gallen, C

https://www.kultbau.org/

Bild: Veranstaltungshinweis Cut-up Connection, eventfrog (vermutlich ein Werk von J.Ploog)






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen