Dienstag, 12. Februar 2013

Auf dem Drachenthron, Teil II


Fortsetzung vom 5.2.2013
 
Shenzhen, wo Huawei ein Territorium einer Schweizer Kleinstadt beansprucht, hat in den letzten 30 Jahren die Metamorphose vom einst idyllischen Fischerdorf zu Chinas grösstem Industriestandort durchlebt und gäbe gut und gern das Sujet für einen Fotoband mit dem Titel "Die Ästhetik der Hässlichkeit" her. Der Huawei-Campus umfasst neben Firmengebäuden und einem Park mit Teichen auch den Bai Cao Garden - ein Wohndistrikt mit 3000 Apartments für die Mitarbeitenden. Auf dem 105'000 Quadratmeter grossen Gelände finden sich auch ein Gesundheitscenter, ein Supermarkt, Restaurants und Cafés, eine Buchhandlung und ein Friseur. Das grosszügige Angebot dürfte auch pragmatische Gründe haben: So sind die Angestellten zum einem immer unter Kontrolle und zum anderen jederzeit schnell am Arbeitsplatz, ein nicht zu unterschätzender Vorteil in Anbetracht von Chinas Verkehrschaos. Huawei stehe für das neue China, lässt man uns wissen, und gibt sich für chinesische Verhältnisse, oberflächlich betrachtet, erstaunlich offen und transparent. Einige Fragen prallen allerdings auch nach dem dritten Versuch unbeantwortet an der grossen Mauer des Schweigens ab. Mitunter wird auch eine Frage beantwortet, die nicht gestellt wurde. Die meiste Zeit haben wir zudem zwei scheinbar unbeteiligte Personen im Schlepptau, die uns wie Schatten an den Fersen kleben oder bei Interviewterminen leicht unmotiviert die gelangweilten Randfiguren geben. Es ist allerdings anzunehmen, dass sie aufmerksam zuhören, um hinterher, wem auch immer, zu rapportieren. Die Stasi lässt grüssen. Vielleicht haben wir westlichen Journalisten aber auch zu viele Agentenfilme gesehen. Man weiss es nicht, denn ihre Funktionen bleiben bis zuletzt im Dunkeln. Doch so unabhängig, wie uns die Unternehmensvertreter weismachen wollen, dürfte auch Huawei nicht sein. Die Gerüchte, Huawei sei durch Subventionen der chinesischen Regierung begünstigt worden und habe in der EU zu niedrigen Preisen Produkte verkauft, halten sich hartnäckig. Die Europäische Union plant deshalb eine offizielle Untersuchung, an deren Ende Strafzölle erhoben werden könnten. Die Merkel hat unterdessen bei einem Treffen mit dem chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao im Vorfeld des G20-Gipfels die bisherige Unterstützung des Landes für den Euro gewürdigt, die Schleimerin. Man sprach wohl über die politischen Perspektiven in Europa, sowie über die wirtschaftlichen Entwicklungen in China. China hält mit über 3 Billionen Dollar weltweit die grössten Devisenreserven. Das Land ist daher ein global umworbener Investor. Da scheissen doch alle gern auf die Menschenrechte, Hauptsache der Rubel rollt. Die Chinesen haben uns alle längst im Würgegriff.

Zur Rolle der IT beim Wandel Chinas zum Hightech-Standort sagt einer der vielen Chefs, die wir auf dieser Reise treffen, etwas bedeutungsschwanger: "IT hat dieselbe Bedeutung für China wie atmen oder jeden Tag zu essen." In der Tat bauen einerseits immer mehr lokale Behörden die IT-Industrie in ihrem Wirkungsbereich signifikant in Richtung Software und Services aus. Andererseits expandieren langsam auch einheimische IT-Unternehmen ins Ausland. Huawei ist dafür ein Beispiel. IT sei der Ausgangspunkt der meisten technischen Innovationen, sagt der gute Mann. Obwohl man im Zusammenhang mit China den Begriff Innovation vorsichtig benutzen sollte. Wenn Innovation für Imitation steht, dann ist das Riesenland selbstredend Weltmeister. Da bediene ich hier natürlich voll das Klischee. Aber jedem Klischee wohnt auch eine Wahrheit inne. Sicher gibt es auch in China kreative, kluge, offene, liberale, witzige, moderne, nette Menschen. Bei rund 1,4 Milliarden Einwohnern ist die Wahrscheinlichkeit sogar sehr hoch, dass es jede Menge davon gibt. Allerdings auch jene für die Anzahl an Arschlöchern, Denunzianten, Regierungsschergen und Parteihörigen, Korrupten, Folterknechten und Feiglingen. Der Rest, das sind die Armen vom Land, die, kämen sie vom Mond, wahrscheinlich informierter wären, als sie es hier sind. Die Chinesen haben jedenfalls schon lange nichts mehr Nennenswertes erfunden, erforscht oder kreiert. Nach 1250 war Sense und aus dem Reich der Mitte kam nichts mehr nach. Warum auch, wenn klauen und kopieren effizienter ist? Die Chinesen haben ein völlig anderes Verständnis von geistigem Eigentum. Vielleicht ist es an uns, ein bisschen entspannter damit umzugehen. Die Zeiten der grossen Meister wie Konfuzius und Lao-Tse sind definitiv vorbei. Die Chinesen haben uns die Nudel, das Papier, das Porzellan, die Kanalschleuse, die Schubkarre, den Kompass, den Buchdruck und das Schwarzpulver beschert. Mehr kann man eigentlich nicht verlangen. Und dann stelle ich schnell auch noch ein paar Fragen. Auch sie verhallen im holzgetäfelten Sitzungsraum wie das Echo im Himalaya. "Ich persönlich glaube", so der Manager, "Cloud-Computing ist die vierte Phase der industriellen Revolution und die IT-Branche ist die treibende Kraft für alle anderen Industrien." Schade nur, dass im Land selbst viele der Technologien durch Gesetze und Restriktionen seitens der Führung in Peking noch gar nicht einsetzbar sind. Es darf auch bezweifelt werden, dass die Neuerungen in naher Zukunft über die grossen Ballungszentren hinaus beim gemeinen Bürger ankommen werden. Im Land der Milliarden Korruptionsmeister landet meistens ausser des Geldes in den Taschen irgendwelcher Parteifunktionäre und Beamten leider gar nichts dort, wo es einst geplant war.

In Shenzhen ist am Abend genauso viel los wie in der Zürcher Agglomeration: nichts. Ich war vor zehn Jahren schon einmal hier, erkenne aber nichts wieder. Verzweifelt versuche ich mich an irgendetwas zu erinnern. Aber da ist nur reine Leere. Später fällt mir ein, dass ich damals gar nicht in Shenzhen sondern in Suzhou in der Nähe von Shanghai war. Klingt ähnlich, sieht gleich aus. Das kann man schon mal verwechseln. Als Abendunterhaltung besuchen wir eine Performance im Theater des Splendid China Folk Village, eine Art chinesisches Disneyland in Kleinformat. Der Theatersaal ist halb voll und, abgesehen von uns, ausschliesslich mit chinesischen Gästen besetzt, die augenscheinlich einen Heidenspass an der Show haben. Meine Journalistenkollegen hängen teils abwesend, teils kurz vorm Einnicken etwas gelangweilt in den roten Samtsesseln. Ich kann mich nicht entscheiden, ob die ganze Show schön schaurig oder schaurig schön ist. Wie perfekt modellierte, filigran ausgearbeitete, ferngesteuerte Püppchen schweben die Tänzerinnen mit süsslich eingefrorenem Lächeln feengleich über die Bühne. Nichts wird dem Zufall überlassen, alles wurde bis zur Perfektion, in Einklang mit Bühnenbild, Licht und Musik, wahrscheinlich in sozialistischem Drill, einstudiert. Ob es sich dabei um Kunst handelt, darüber lässt sich streiten. Auch mit Tradition hat das nichts zu tun. Trotzdem ist es betörend schön und berührt. Mehrmals läuft mir ein Schauer über den Rücken und stehen mir die Tränen in den Augen. Ich schäme mich ein bisschen, dass mich derartiger Kitsch dermassen mitreisst. Ich schäme mich aber auch für die anderen, die die Arbeit und Liebe, die hinter so einer Aufführung stehen oder die Bemühungen unserer Gastgeber nicht erkennen und zu würdigen wissen. Auch ich lasse ein paar abfällige Bemerkungen fallen, wohl, um mich nicht zu outen, dass mir das Ganze doch irgendwie gefällt.
Fortsetzung folgt am Dienstag, 19.2. 2013

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