Donnerstag, 21. Februar 2013

Auf Escobars Spuren, Teil III



Fortsetzung vom 14.2.2013
Was macht der gemeine Kolumbianer morgens um Neun an einem verregneten Juli-Sonntag? Er geht zur Messe in die Kirche. Da wir nichts anderes zu tun haben, wohnen wir in der Iglesia San Francisco knapp eine Stunde dem Spektakel bei. Solange man das ganze katholische Brimborium nicht ernst nimmt, was ich nicht tue, hat die Szenerie fast etwas anrüchig-liebliches, ja fast versöhnliches. Selbst der Kirchenchor, der permanent falsch singt, hat etwas herzerwärmendes. Katzen in der Paarungszeit sind ein Dreck dagegen. Die Kirche ist zehn nach Neun praktisch rappelvoll. In unserer Reihe nehmen links von uns zwei Nonnen Platz. Drei Reihen vor uns ein junger, hübscher Mann, der mit weit ausgebreiteten Armen besonders inbrünstig betet. Bittet er um Absolution für die Sünden der Samstagnacht? Hat er die Frau seines Bruders gevögelt? Oder den Mann seiner Schwester? Ist er ein Drogenkurier? Will er sich der F.A.R.C. anschliessen? Oder hat er einfach nur generell Angst vor dem Leben? Eine Altersgrenze kennt die Gemeinde nicht. Vom indianischen Kleinkind, das lustig über die Holzbänke hüpft, über junge Paare und Familien bis zum alten Papi finden sich die Schäfchen brav vor dem Herrn ein. Die Kirche, dekadent überladen und mit Gold bestückt, ein zynisches Gegenstück zu den armseligen Lebensumständen der meisten Einwohner Bogotás. Eigentlich sollten die Leute nicht in Ehrfurcht erstarren, sondern die Bude plündern, den ganzen Krempel veräussern und mit dem Ertrag ihre baufälligen Hütten sanieren. Die Stimme des Pfarrers klingt angenehm sonor, Zitate aus der Bibel auf Spanisch nur noch halb so bigott wie auf Deutsch. Der Predigt freilich hört man besser nicht zu. Wortfetzen wie 'Untreue' oder 'die Natur im Zaume halten' fliegen uns um die Ohren, während der Pfaffe, in Fahrt gekommen, wild mit dem Zeigefinger drohend, herumgestikuliert. Die Gemeinde starrt stur zu Boden oder nickt zustimmend mit dem Kopf und dankt ihm mit ständigem Aufstehen, Beten, Singen, Hinsetzen, Amen.
Zwischendurch läuft der Messdiener beschwingt im blütenweissen Gewand mit dem samtroten Klingelbeutel durch die Reihen. Sein breites, freundliches Lächeln lässt das Kleingeld wie von selbst aus den Hosentaschen der Gemeindemitglieder in den Besitz der Kirche wandern. Auch ich zücke einen 2000-Peso-Schein. Sollen sie dem himmeltraurig jaulenden Kirchenchor von unseren Almosen ein paar Gesangsstunden spendieren. Als Unbeteiligte, ohne moralinsaure Schuldgefühle, geniesse ich fast die sonntägliche Feierstunde. Die armseligen Gläubigen können einem allerdings ob der Volksverarschungs-Show schon leidtun. Ob sich der junge Mann jetzt besser fühlt? Wohl kaum. Allerdings ist es vielleicht immer noch besser, als vor der Glotze zu hocken. Oder einen Mord zu begehen. Fünf pro Nacht seien es in Bogotá, hat uns der Taxifahrer gestern verraten. Vielleicht sitzt auch ein Mörder unter uns, der jetzt um Vergebung für seine Taten hofft. En el nombre del Padre, del Hijo y del Espíritu Santo. Amén. Wenn wir schon hier sind, nehmen wir das volle Programm in Anspruch, stellen uns in die Reihe vor den Priester und lassen uns ein Stück Corpus Christi von ihm in den Mund schieben. Die Minioblate klebt am Gaumen fest und mehr Jesus spüre ich fürs Erste nicht. Aber vielleicht kommt ja noch was nach. Völlig geläutert gehen wir ins Nationalmuseum. Hier erwartet uns eine Exposicion Temporal über Débora Arango. Auch hier ist der Eintritt gratis und diese Débora war eine erstaunlich mutige und talentierte Künstlerin. Wenn Frauen loslegen, dann aber richtig. Ich für meinen Teil warte noch auf den Startschuss. Vielleicht habe ich ihn auch überhört und längst verpasst.
Montagmorgen-Konversation mit dem Gatten:

"Hast du deine Tage?"

"Ja?! Wieso?"

"Sei froh!"

"Froh weshalb? Dass ich nicht schwanger bin?"

"Nee, dass du noch nicht in der Menopause bist."

"..."

Sich an schöne Zeiten zu erinnern, ist eine Hoffnung im Rückwärtsgang, schreibt Malorny auf Seite 104. Auf bessere Zeiten zu hoffen, ist an der Realität vorbeigelebt, sage ich. Ich stelle ein leicht abgefucktes Foto von mir mit brennendem Zigarillo im Mund auf Facebook. Bildunterschrift: (Letzte?) Grüsse aus Bogotá. Morgen geht's ins F.A.R.C.-Gebiet, mal gucken, was die Rebellen so machen. Obwohl es zu Hause weit nach Mitternacht ist und sich sonst keine Sau für meine gelegentlich gepostete Kunst interessiert, liken gleich mehrere Personen das Bild und kommentieren es. Mehrheitlich unsachgemäss. Im Falle einer Entführung würde ich dann endlich meinen Bestseller landen: "Der Rebell und ich - fünf Jahre in den Fängen der F.A.R.C." oder: "Susi K. - eine Drogenkurierin packt aus". Ja, solange man sich in Sicherheit wähnt, kann man doofe Sprüche klopfen. Aber keine Angst, die Gefahr einer Verschleppung ist gering. Ich bin so träge, dass die Guerilla gar nicht bemerkt, dass sich da im Geäst überhaupt etwas bewegt.
19:08 Uhr - der Gatte schläft. Schon wieder. Da muss doch was im Essen gewesen sein. Unterdessen feiern hunderttausende Fussballfans den Sieg von Santa Fee im Play-off der kolumbianischen Championsleague. Santa Fee hat den Pokal nach 37 Jahren wieder nach Hause nach Bogotá geholt. Die Stadt ist ausser Rand und Band. Die Begeisterung für Fussball ist wohl das einzige, worin sich die Menschen weltweit einig sind. Da sind Kriege, Feindschaften, Religionen und Rassen plötzlich vergessen. Völkerverständigung erster Güte.

3:41 Uhr wach

5:32 Uhr wach

6:08 aufstehen

Der erste sonnige Tag, der bei uns vorübergehend für einen Anflug von Lebendigkeit geführt hat. So haben wir den Monserrate - Bogotás Hausberg - erklommen. Per alter Seilbahn, versteht sich. Schweizer Wertarbeit. Von oben hat man einen wunderbaren Blick auf die Stadt, die aus der Ferne gar nicht mal so kaputt, dreckig und runtergekommen aussieht, wie sie wirklich ist. William S. Burroughs, der alte Junkie, irrte ein Jahr durch Südamerika, nachdem er im Drogenrausch bei der Nachstellung der Apfelszene aus Schillers Wilhelm Tell versehentlich seine Frau umgebracht hatte. Er schreibt 1953 an Allen Ginsberg: "Zu der kalten Luft in Bogotá kommt hinzu, dass es hier immer kalt und nass ist; eine feuchte Kälte, die in einen rein kriecht, wie die Kälte der Suchtkrankheit. So was wie Heizung kennen die hier nicht; man ist also ständig am Frieren. Mehr als in jeder anderen Stadt in Lateinamerika spürt man hier das tote Gewicht von Spanien; ein düsteres, niederdrückendes Gefühl. Alles Amtliche trägt den Stempel Made in Spain. ... Bogotá wirkt im Grunde wie eine Kleinstadt, wo man ängstlich auf seine Garderobe achtet und den Eindruck zu erwecken versucht, als bekleide man einen wichtigen Posten." Seither hat sich eigentlich nichts geändert. Ich erstehe eine kleine rote Gitarre, die sich, wie ich später feststelle, gar nicht richtig stimmen, ergo auch nicht spielen lässt. Immer kauft man irgendwelchen Tinnef, den man nicht braucht.
 
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 28.2.2013

 

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