Dienstag, 19. Februar 2013

Auf dem Drachenthron, Teil III



Fortsetzung vom 12.2.2013
Nach dem Dinner sind wir alle dermassen erledigt, dass wir uns eigentlich nur noch nach unserem Bett sehnen. Nur unser deutscher Jugendfreund will das Nachtleben von Shenzhen entdecken. Leider sagt man ihm nicht klipp und klar, dass in Shenzhen kein Nachtleben existiert. Da jeder Wunsch von uns zumindest ernst genommen und wenn möglich auch erfüllt wird, fahren wir die nächsten vierzig Minuten durch strömenden Regen durch die Nacht, um unserem Nachtschwärmer das höchste Gebäude der Stadt zu zeigen. Was uns auch keiner sagte ist, dass es sich nicht wirklich um einen Wolkenkratzer oder ein Gebäude von besonderem Interesse handelt. Es ist einfach das höchste Haus der Stadt. Weder schön, noch spektakulär, noch architektonisch von Bedeutung und auf keinen Fall wirklich hoch. Als wir endlich vor Ort sind, schiessen wir durch die vom Regen kaum zu durchblickenden Autoscheiben ein Foto in die Richtung, in der sich in etwa ominöses Hochhaus befindet. Bei niemandem entsteht ein brauchbares Bild. Damit wäre der letzte Punkt der Tagesordnung auch abgehakt. Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt in die entgegengesetzte Richtung können wir endlich ins Zimmer. Eigentlich sollte ich jetzt noch ein bisschen arbeiten und einen ersten Bericht in die Schweiz schicken. Glücklicherweise ist das Internet gesperrt, sind Facebook und Twitter abgeschaltet und funktioniert WLAN nicht. Diktatorische Massnahmen haben mitunter auch ihr Gutes.
Am nächsten Tag verlassen wir Shenzhen Richtung Peking. Bei der Abfertigung gibt es Probleme, die die Damen vom Check-in so lange hinauszögern, bis der Schalter geschlossen wird und der Flieger ohne uns abhebt. Madame pour la press, die übrigens perfekt Chinesisch spricht und sich, obwohl sie halb Schweizerin, halb Madagassin ist, auch schon so fühlt, beherrscht ihren Job. Sie bewahrt die Contenance, wie sehr wir oder die Umstände sie auch nerven. Nach ein paar Tagen gelte ich bereits als unbequeme Nörglerin, der sie, da bin ich sicher, am liebsten den Hals umdrehen möchte. Doch sie verliert nie die Fassung, ist immer professionell, höflich, hilfsbereit und löst jedes Problem mit Bravour. Jetzt eben kauft sie mal rasch sechs neue Tickets für den nächsten Flug. Ich an ihrer Stelle hätte schon längst das Handtuch geworfen. Um sich an uns zu rächen, wenn wir zu kompliziert tun, spricht sie mit unserem Italiener nur noch in seiner Muttersprache und straft uns damit ab, dass wir aussen vor bleiben. Ich glaube, sie steht auf ihn. Mir soll's recht sein.
Grundsätzlich scheint sich der chinesische Manager vom Schweizer Executive-Board-Mitglied nicht nennenswert zu unterscheiden. Beide agieren prozess- und gewinnorientiert, vor allem Letzteres, und versuchen die Firmenstrategie (die oft mit den eigenen Interessen einhergeht) durchzusetzen und im besten Falle zu beeinflussen. Auch der Biertrink-Wettbewerb am ersten Abend in Peking endet unentschieden. Zumindest mengenmässig betrachtet. Der Gastgeber ist allerdings bedeutend betrunkener als seine Gäste. Er hebt das Glas, er lacht laut in die Runde, er schüttet den Inhalt des Glases weg. Danach folgt die nächste Runde. Ein Unterschied ist allerdings bei der Beantwortung kritischer Fragen festzustellen. In China wird in solchen Fällen gern abrupt das Thema gewechselt oder der Befragte stellt sich einfach unwissend. Fragen zu Regimekritikern wie dem Künstler Ai Wei Wei, der immerhin mit den Basler Architekten Herzog & de Meuron das "Vogelnest" genannte Nationalstadion für die Olympischen Sommerspiele entworfen hatte, oder zur Tibetproblematik bleiben unbeantwortet.
"Ai Wei Wei? Nie gehört", sagt er und zieht dabei eine angewiderte Fresse. "Wenn ihn hier keiner kennt, kann er nicht wirklich berühmt sein. Kennen Sie Lang Lang?" Ja Lang Lang kenne ich. Mit Chopin stösst man halt weniger an als mit politischer Aktionskunst. Obwohl ich Lang Langs virtuoses Klavierspiel damit nicht schmälern will. Ai Wei Wei ist letzten September übrigens erneut mit seinem Einspruch gegen eine Steuerstrafe in Millionenhöhe gescheitert. Ein Gericht in Peking bestätigte die wahnwitzige Forderung der Behörden in Höhe von 15 Millionen Yuan (1,7 Millionen Euro) Steuern und Strafzahlungen. Ai Wei Weis Kunst-Unternehmen habe angeblich grosse Beträge an Steuern hinterzogen. Im April 2011 war der Künstler unter diesem fadenscheinigen Grund festgenommen und ohne Anklage 81 Tage weggesperrt worden. Sein nagelneues, eine Million Dollar teures, 2000 Quadratmeter grosses Atelier in Shanghai wurde im Morgengrauen dem Erdboden gleichgemacht. Die Begründung der Behörden, bei denen er den Boden für 35 Jahre gepachtet hatte und die dem Bau zuvor zugestimmt hatten: Unsachgemässe Benutzung.
Spätestens als der mittlerweile sehr betrunkene Firmen-Abgesandte beim Dinnerausklang die Errungenschaften des Irans preist, wird einem jedoch bewusst, dass uns, trotz gewisser Gemeinsamkeiten, noch immer Welten trennen. Es ist allerdings schwierig kritisch zu bleiben, wenn einem eine 5-Sterne-Suite mit Blick über ganz Peking und leckere Pekingente spendiert werden. Gilt das schon als Bestechung? Es ist immer wieder ein Balanceakt, als Journalist objektiv zu bleiben und sich nicht von irgendwelchen Goodies einlullen zu lassen. Theoretisch müsste man das alles selbst finanzieren, aber so weit geht man dann in der Regel ja doch nicht. Die übersetzten Bedeutungen des Wortes Huawei sind übrigens vielfältig und wie es scheint flexibel einsetzbar, lassen wir uns beim Hotpot essen an diesem Abend erklären. Sie reichen von "Für China" über "Made in China" bis zu "Glorreiche Tat" oder "Star der Party". Und nicht weniger strebt der Konzern an: Star der globalen IT-Welt zu werden. Dumm nur, dass ihn ausserhalb Chinas bis dato praktisch keine Sau kennt. Aber dafür, dass sich das ändert, sind wir ja offensichtlich hier.

Fortsetzung am Dienstag, 26.2.2013

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