Donnerstag, 18. Mai 2017

Ameisen am Rande des Nervenzusammenbruchs



Ameisen am Rande des Nervenzusammenbruchs

Auf Facebook werde ich immer aufgefordert, über meinen Tag zu berichten. Meistens gibt es da aber nichts von Belang zu erzählen. Zudem ist mir ein großer Teil meiner „Freunde“ nicht bekannt und ich wäre froh, wenn sie ihrerseits ebenfalls auf eine Berichterstattung verzichten würden. Heute allerdings passierten gleich mehrere unvorhergesehene Dinge. Davon will ich im Folgenden erzählen. 

Der Tag begann damit, dass ich etwa zum dritten Mal in meinem Leben verschlafen hatte. Ich wünschte, das wäre mir öfter passiert. Vielen Mitbürgern wären einige unausgeschlafene Morgenmuffel-Stimmungen meinerseits und mir blöde Vorhaltungen ihrerseits erspart geblieben.

Als ich später beim Bäcker meine Brezel zahlen wollte, stellte ich fest, dass ich mein Portemonnaie nicht dabei hatte. Sowohl die holde Bäckerin, als auch der Türke an der Ecke für den Kaffee, ließen mich anschreiben. Offensichtlich wirke ich vertrauensvoll. Das war mir neu.

Danach steckte ich allerdings Ewigkeiten wegen einer Betriebsstörung der Bahnanlage im langen Tunnel vor Zürich fest. Ein Alptraum für jeden Klaustrophobiker. Ich steckte außerdem in meinem Business-Anzug fest, in dessen Inneren sich ein mittelschwerer Schweißausbruch anbahnte. Nach der ersten Durchsage, dass wir auf unbestimmte Zeit im Tunnel verbleiben müssen, wurde es totenstill im Zug. Die Leute zückten ihre Smartphones und schrieben Abschiedsnachrichten. Einige telefonierten. Offensichtlich verstanden ihre Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung nur Bruchstücke, denn mehrfach schallte der Kampfruf "Ich bin im Tunnel, Tuuuuunnel!!!" durch die Gänge.

In einer nächsten Phase kenterten und belagerten die Insassen die Toiletten. Angstschisse vermute ich. Dann wurde es langsam unruhig. Wie Ameisen am Rande des Nervenzusammenbruchs begannen die Leute im Zug hin- und herzulaufen, Gang vor und zurück, treppauf, treppab. Wo sie hinwollten, blieb unklar, raus konnten wir ja nicht. Unter meinem Pony bildeten sich Schweißtropfen, auch ich wollte raus. Vor allem weil mir heiß war und meine neue Schuhe drückten, der Laptop schwer und schwerer wurde und überhaupt: In einem geschlossenen Raum mit vielen Menschen eingesperrt zu sein ist nun einmal widerlich. Einige Männer benahmen sich wie Frauen in einem Almodovar-Film. Es wurde langsam hysterisch. Glücklicherweise setzte sich der Zug irgendwann wieder in Gang. Die technischen Störungen der SBB nehmen langsam deutsche Ausmaße an. Und diese wiederum bekannterweise ja mittlerweile indische. Es geht bergab.

Auf dem Perron am Hauptbahnhof Zürich lag ein Japaner in stabiler Seitenlage, dem gerade so eine goldene Papierdecke übergeworfen wurde. Ich weiß nicht, ob er kollabierte, weil unser Zug, der zum Flughafen fahren sollte, viel zu spät kam oder einfach nur so. Um mal den Zustand des Bahnsteigbodens zu testen. Als ich in die Sihltalbahn eingestiegen war und meine Lieblingslesebrille aufsetzen wollte, zerbrach diese in zwei Teile. Ich könnte es positiv sehen: Ich habe jetzt zwei Monokel. Aber ich bin ja eher der pessimistische Typ. Ich sehe das Glas Wasser weder halb voll, noch halb leer, ich habe gar kein Glas. Ich fragte mich, ob ich heute besser zu Hause geblieben wäre. Am Nachmittag muss ich zum Außenwirtschaftsforum. Ich denke nicht, dass es heute nochmal besser wird.

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