Dienstag, 8. März 2011

Die Weinprobe



Was macht man in der Mitte eines Zweifrontenkriegs? Man geht zu einer Weinprobe. Diesen Satz eines israelischen Staatsbürgers las ich kürzlich in einem Interview in "Die Welt". Humor haben sie, das muss man den Israelis lassen. Sie verlieren ihn selbst dann nicht, wenn ihnen Raketen um die Ohren fliegen.
Ich selbst hatte kürzlich Besuch von einem jüdischen Freund aus Tel Aviv, der gern einmal Wein, Weib und Gesang frönt. Und da in Helvetien glücklicherweise Frieden herrscht, konnten wir ganz unbelastet an unsere Weinprobe gehen.

Gern wird eine Weinprobe mit einer Lesung verbunden - oder umgekehrt. Entweder will man schlechten Wein mit Literatur aufwerten oder mit gutem Wein von schlechter Schreibe ablenken. An besagter Weinprobe im Keller einer Schweizer Bank, an der ebendieser Freund, meine Mutter und ich nun kürzlich teilnahmen, traf irgendwie beides zu. Was uns nach dem fünften Nachschenken allerdings ziemlich egal wurde.

Der Kellermeister, ein grummliger Herr mit speckigem Haar, nicht mehr ganz im besten Alter, goss uns eifrig ein Glas nach dem anderen mit dem wohltemperierten Rebensaft voll. Der Keller war kühl, das Licht schummrig. Kurz: Ideal, sich in Windeseile, nahezu unbemerkt, sinnlos zu betrinken.

Meine Mutter, die nicht mehr ganz soviel verträgt wie in ihrer Blütezeit, stellte vorsorglich ihre halb geleerten Gläser diskret im Foyer ab. Nichtsahnend, dass sich die Kinder des Bankdirektors, süsse neun und zwölf Jahre alt, genüsslich daran labten. Sie wurden später mit einer Alkoholvergiftung abtransportiert. Auch Saufen will eben gelernt sein. Aber das nur am Rande.
Neben schlechter Lyrik wurde verführerisch duftender Rohschinken kredenzt. Ich war froh, dass ich mich gegen ein Vegetarierdasein entschieden hatte.
"Ich hätte gern ein Stück von diesem Fisch dort", gab mein Gast einen seiner jiddischen Witze zum Besten.
"Das ist ein Schinken", sagte die beleibte Dame hinter dem Holzbrett und schnitt ein dickes Stück Schwein ab. Sie selbst hatte ein wenig Ähnlichkeit mit einer Wildsau. "Es interessiert mich nicht, wie der Fisch heisst", antwortete mein Freund und biss genüsslich in den Schinken. Schlechte Witze spült man am besten mit einem Charmont herunter.
"Was arbeitest Du eigentlich zur Zeit?", versuchte ich das Thema zu wechseln.
"Gar nichts", sagte er bedeutungsschwanger lächelnd. "Wenn man arbeitet hat man keine Zeit zum Geld verdienen. Noch ein Schlückchen Doral gefällig?" Irgendetwas machte ich verkehrt.
"Haben Sie auch einen Kröver Nacktarsch?", fragte ein leicht beschwipster Gast. Um ein Haar hätte die Weinkönigin der letzten Herbstlese doch tatsächlich die Hüllen fallen lassen. Vielleicht hätte sie sich ja doch besser zur Erotikqueen wählen lassen sollen. Schon halb entblösst, lachte sie kurz hysterisch auf, bevor sie vom Kellermeister unsanft ins Abseits gezogen wurde.

Der Dreiklang aus brillanter Textrezitation ("Mann bin ich besoffen!"), mitreissendem Gesang ("Griiiischischer Weiiin") und ausgesuchten Weinen verzückte sogar zu fortgeschrittener Stunde den Kellermeister. Auch er genehmigte sich das eine oder andere Tröpfen und tätschelte in vertraut väterlicher Art diverse Schultern - und später auch Hintern - verschiedener Damen. Wenn das keinen Gutedel wert ist, kam's mir in den Sinn. Schnurstracks entsorgte ich den Chenin blanc in meiner durstigen Kehle, damit man mir nachschenken konnte.

"Wo finde ich die Toilette?", erkundigte sich eine Dame mit einem Hut wie ein Storchennest.
"Das ist eine Bank meine Dame.", sagte mein Begleiter süffisant grinsend. "Hier gibt's keine Toiletten. Hier bescheisst einer den andern." Worauf sich die Dame spontan in ihr Luis-Vuitton-Täschchen übergab. Zeit für einen kleinen Roussette, dachte ich und leerte das Glas in einem Zug.
"Ich hasse meinen Job!", lallte der Herr Bankdirektor feuchtfröhlich.
"Und ich meinen Mann" flüsterte seine Gattin. In Vino liegt eben doch die Veritas.

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