Donnerstag, 4. April 2013

Auf Escobars Spuren, Teil IX



Fortsetzung vom 28.3.2013
Es ist für den ersten Moment schon etwas irritierend, wenn dein Name mit zehn anderen auf einem südamerikanischen Flughafen aufgerufen und man mit Polizei-Eskorte zur Gepäckkontrolle neben die Rollbahn beordert wird. So wie es mir in Quito vor der Abreise zurück nach Bogotá passiert. Mir kommt Andrea Mohr in den Sinn, mit der ich zusammen in einem Buch veröffentlicht habe. Auch sie wurde schon am Flughafen Quito gefilzt. Am Ende sass sie fünf Jahre im berüchtigsten Frauengefängnis von Australien. Gut, im Gegensatz zu ihr habe ich nicht jahrelang kiloweise Koks von Kolumbien nach Down Under geschmuggelt. Ich bin klein, mein Herz ist rein. Trotzdem ist mir leicht mulmig zumute. Ein neuer Versuch des Gatten mich loszuwerden? Hat er mir Kokain untergeschoben und hofft auf meine Verhaftung? Fünf grimmig dreinschauende Polizisten und zwei hechelnde Drogenspürhunde erwarten uns. Jeder von uns muss sein Gepäck identifizieren. Die Verdächtigen-Gruppe besteht neben mir aus einem jungen Holländerpaar (die sind offensichtlich per se verdächtig), einer älteren Dame, ein paar finster aussehenden einzelnen Herren und einer spärlich bekleideten Ecuadorianerin inklusive Kleinkind und Kinderwagen. In knappen, forschen Sätzen befragt mich der Beamte nach Aufenthaltsdauer in Ecuador, wohin ich wolle, für wie lange und wozu. Das ist eine gute Frage, möchte man antworten, aber natürlich beantworte ich brav und korrekt, was er wissen will. Die Staatsmacht reizt man besser nicht. Schon gar nicht in Ecuador.
Während der Beamte scheinbar unbeteiligt meinen Ausführungen lauscht, durchsucht er akribisch mein Gepäck. Als allererstes gerät ihm mein Minivibrator, der allerdings als solcher nicht erkennbar ist, zwischen die Finger. "Was ist das?", fragt er streng. Mir fällt vor Schreck weder die spanische noch die englische Bezeichnung für den kleinen Freudenspender ein. Ich stottere ein bisschen was von para el deleite de las mujeres - für die Lust der Frauen - aber er stellt sich blöd. Absichtlich, vermute ich. Er legt das Ding zur Seite auf den Tisch und packt den Inhalt meines Nécessaires und meiner Reiseapotheke aus. Er dreht ein paar Pillendosen in der Hand, tut, als würde er die Aufschriften lesen, dann steckt er alles gelangweilt wieder weg. Nebenan am Tisch packt die dralle Mutter ihr Zeug aus. Der Hund kläfft das Kind an, das Kind erschreckt sich und fällt samt Sportwagen um und unter den Untersuchungstisch. Es schreit. Ein einizges Chaos. Die ältere Lady beschwert sich und wird zurechtgewiesen. Koffertransporteure rennen schweissgebadet hektisch hin und her und schmeissen einzelne Gepäckstücke wahllos in irgendwelche Ecken. Wenn das mal gut geht! Wenn das überall so abgeht, wundert es mich nicht mehr, wenn so viel Gepäck nicht ankommt. Mein persönlicher Durchsuchungsbevollmächtigter erinnert sich dummerweise nochmal an das seltsame kleine schwarze Gerät, was er bei mir gefunden hat. Er drückt auf das rechte Knöpfchen, es vibriert. Spätestens jetzt dürfte auch ihm klar sein, dass es sich nicht um eine Waffe handelt. Jedenfalls keine der herkömmlichen Art. Natürlich kriegt der Cretin das Ding nicht wieder aus, denn jetzt kommen erst einmal die verschiedenen Vibrationsstufen. Langsam wird auch der Drogenhund auf das surrende Etwas aufmerksam. Mit heraushängender Zunge und gespitzen Ohren grinst mich der Schäferhund an, als verstünde er, worum es hier gerade geht. Ich sage "pfui!", obwohl er sicher nur Spanisch versteht, reisse dem verdatterten Beamtem meinen teuren Lelo aus der Hand und stelle ihn ab. Linkes Knöpfchen, du Trottel! Damit ist die Durchsuchung für mich beendet. Allerdings müssen wir, die Abgefertigten, uns in einer Reihe aufstellen und warten, bis alle Koffer und Taschen komplett durchsucht sind. Gefunden wird nichts. Weder bei der Terroristen-Oma, noch bei der Nutten-Mutter, noch beim Haschisch-Pärchen aus Rotterdam.
Leicht enttäuscht, möchte man meinen, wedelt ein Polizist mit der Hand und gibt uns zu verstehen, dass wir verschwinden sollen. Danach gehts im Gänsemarsch in einen separaten Raum zur Leibesvisitation, die allerdings für mein Empfinden ziemlich lasch durchgeführt wird. Die Sache geht ohne gummibehandschuhe Finger in Körperöffnungen über die Bühne. Danach müssen wir ein weiteres Mal durch die Sicherheitskontrolle. Auch das Handgepäck wird erneut inspiziert. Als ich endlich wieder zurück bin, ist boarding time. So kann man sich die Wartezeit bis zum Abflug auch vertreiben. Erstaunlich, dass sie meine Amphetamine nicht gefunden haben.  Apropos Amphetamine, Kokain und Ecstasy: Davon wird am meisten in Antwerpen und Amsterdam konsumiert, gefolgt von Valencia, Eindhoven, Barcelona und London. Das ergab eine grossangelegte Abwasseruntersuchung in 19 europäischen Grossstädten. Da war zumindest die Durchsuchung des Holländerpaares ja berechtigt. Was das Kokain betrifft, hatte ich eher auf Zürich getippt. Aber vielleicht hat die Schweiz in der EUROPÄISCHEN Statistik mal wieder nichts zu suchen. 350 Kilo Koks sind es europaweit täglich, die sich die Herrschaften so genehmigen und am Ende der Kanalisation übergeben. Nicht auszudenken wieviel es wäre, bei spottbilligen Preisen wie in Ecuador oder Kolumbien. Die Leute würden wahrscheinlich von Kaffee auf Koks umsteigen.
Eine Leibesvisitation konnte mir nichts anhaben und ein Sandsturm auf 5200 Metern auch nicht. Ebensowenig ein Bus, der sich mit meinem Taxi paart oder ein psychopatischer Taxifahrer. Und jetzt hätten mir bei 5 Meter Attitute und 34 Grad (auch nachts!) beinahe zwei Antidünnschisspillen meines Tropenarztes den Garaus gemacht. "Gegen den Durchfall hat es fantastsisch geholfen. Leider ist der Patient tot." Gegen drei Uhr morgens, als ich gerade vom Klo, dass ich die halbe Nacht frequentierte, aufstehen will, wird plötzlich alles schwarz um mich herum. In den Ohren rauschen die Niagarafälle, das Herz schlägt wild gegen den Hals, die Panik macht sich breit. Doch bevor ich richtig durchdrehen kann, wird alles sanft, wie in Watte gepackt, alles ist weit weg und Schluss. Später finde ich mich nackt - nackt war ich schon vorher! - auf dem weissen Fliessenboden meines Zimmer wieder. Zum Glück bin ich schon etwas braun! Das war also meine erste Ohnmacht. So ein kleiner Vorgeschmack auf den Tod, der uns alle ereilen wird. Ohne die paar Schrecksekunden zwischen dem Realisieren, jetzt passiert etwas, das du nicht mehr steuern kannst, und dem sanften Entgleiten ins schwarze Nichts, war's gar nichtmal so ein grosses Ding. Wenn man so abtreten kann, dann buche ich schon mal diesen Trip. Bei einem Error schaltet sich der Körper also einfach ab. Erstaunlich auch, wie er, vor allem wie schnell, das System wieder aufschaltet und sich selbst reguliert.

"Wollen Sie den letzten Zustand vor dem Brakedown wieder herstellen?"

"Ja"

"Nein"

"Später fragen"

"Systeme werden hochgefahren, drücken Sie auf re-start"
 
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 11.4.2013

 

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