Donnerstag, 11. April 2013

Auf Escobars Spuren, Teil X



Fortsetzung vom 4.4.2013

Cartagena hat die grösste und schönste koloniale Altstadt, die ich je gesehen habe. Deshalb musste die Stadt wohl auch für Dreharbeiten von diversen Szenen in "Fluch der Karibik" herhalten, sagt der Gatte. Ich recherchier' das jetzt mal nicht nach. Wenn's nicht so ist, wurstegal. Der Rest, das neue Cartagena, liesse sich am besten mit Miami Beach für Arme umschreiben. Unser Apartment im Gebäude "Las tres carabelas", die drei Schiffe, liegt im 25. Stockwerk, also das Penthouse, mit Blick in allen vier Himmelsrichtungen aufs Meer. Die Wohnung hat, wie meistens, ein grosses, schönes Zimmer und ein Katzenzimmer. Wir werfen eine Münze, der Gatte hat das Nachsehen. Aber er hätte das grosse, schöne wahrscheinlich auch so mir überlassen. In diesen Dingen ist er grosszügig. Wir haben getrennte Zimmer, weil das für alle Beteiligten das Beste ist. Zum Beispiel weil ich schnarche und er gern zu nachtschlafender Zeit herumraschelt. Zudem habe ichs gern kühl und hell wie im Kühlhaus der Fleischerinnung, er lieber warm und finster wie im Führerbunker. Nach über zwanzig Jahren Fast-Ehe gesteht man sich gegenseitig gern einen Rückzugsort zu, an dem man treiben kann, was man will. Nur so funktionieren Beziehungen. Früher haben wir nächtelang Kämpfe um auf- oder zugezogene Vorhänge und an-oder ausgeschaltete Klimaanlagen ausgefochten. Diese Zeiten sind vorbei. Wir sind erwachsen geworden. Gemeinsame Zimmer (oder gar Betten!!!) haben wir nur noch im tibetischen Hochland in irgendwelchen trutzigen Steinbehausungen oder in kubanischen Kaschemmen, wo es sowieso weder Vorhang noch Klimaanlage gibt. Immer dann also, wenn es zu dekadent wäre, zwei Zimmer zu besiedeln, während sich das Zimmer nebenan die siebenköpfige Familie teilt und Opa auf der Militärpritsche unter der Spüle in der Küche nächtigen muss. Langfristig zusammensein durch Abstand halten, das ist unsere Devise. Und es funktioniert.
Deshalb haben wir jetzt auch zwei Schlüssel zum Apartment, denn während ich bereits im Bett bin, um die Nachwirkungen meiner Ohnmacht zu kurieren, arbeitet der Gatte in Cartagena vieja gerade daran, neue Zimmergenossen zu rekrutieren. Das Penthouse gehört einem gewissen Santiago, der für die Weltbank in Washington arbeitet. Neben diesem Luxushüttchen hat er noch eines in Bogotá. Sieht so aus, als lohne sich eine gehobene Bankkarriere überall auf der Welt. Allerdings entpuppt sich der Luxus bei näherer Betrachtung als leicht bröckelig und wackelig. Die Fenster sind eine Katastrophe, schliessen nicht richtig, was bei einer jährlichen Durchschnittstemperatur von 30 Grad zwar sekundär ist, allerdings entfleucht so auch ständig die kühle Luft der Klimaanlage. Ein Stromverbrauchsdesaster sondergleichen. Um Strom, oder besser die Kosten dafür zu sparen, schaltet uns Edgar, eine Art debiler Hausmeister und Mädchen für alles, regelmässig heimlich die Sicherungen für die Aircondition ab. Die Schalter sind versteckt hinter einer Zwischenwand im Küchenschrank. Ich habe sie in 18,5 Sekunden entdeckt und schalte sie regelmässig wieder an. Gelernt ist gelernt (Stasi, BND). Ohne Klimaanlage, auch wenn sie Töne wie ein Mittelstreckenflugzeug von sich gibt, ist ans Schlafen nicht zu denken. Der Mensch ist schon seltsam. Erst beklagten wir die Höhe, die Kälte und dass die Dusche nicht heiss genug ist, eine Woche später schnaufen wir ob der Hitze und jammern, dass die Dusche nicht kalt genug wird. Man will immer das, was man gerade nicht hat. Im Smartphone erreicht mich eine Nachricht mit dem Titel: Hitzewelle überrollt die Schweiz. Das, nachdem sie dort gerade einmal drei Tage 30 Grad hatten. Für Montag sind bereits wieder 19 Grad angesagt. Die Nachricht entpuppt sich als Werbung für Luftbefeuchter. Der Mensch ist bekloppt.
Es war zu erwarten, dass es an einem heissen Ort in der Karibik kubanische Ausmasse (Sodom und Gomorrha) annehmen wird: Wir sind schon tagsüber am Strand gut betrunken. Abends geht es in die einschlägigen Bars. Gestern, es war mal wieder Samstagnacht, suchte ich das Café Havana auf (oder heim), eine Bar, die einer Bar in Havanna originalgetreu nachempfunden wurde. Auch die Stimmung und das Publikum waren kubanisch. Hemmungslos, zügellos, morallos, fröhlich, als gäbe es kein Morgen, kurz: ausser Rand und Band. Eine Altherrenband von der Insel heizte der wilden Meute ein. Hinter der Bar stapelten sich Flaschen Havana Club Añejo 7 Años vom Boden bis zur Decke. Ein Verführer liess sich bereits nach fünf Minuten blicken. Ich liess mich nicht lange bitten. Den vier Mojitos sei Dank. Wir tanzten Salsa bravío die ganze Nacht. Es dauerte nicht lange und Alvaro, 40 - für einmal kein Frettchen, sondern ein Mann - gerade frisch geschieden von seiner chilenischen Ehefrau, schob mir seine wendige Zunge in den Mund. Ich denke, ein nächster Kubabesuch ist überfällig. Erinnerungen schwappten hoch, an irre Monate auf der verfluchten Insel. Diese rumselige, überspringende Lebensfreude, der Tanz auf dem Vulkan, der jeden Moment auszubrechen droht und alles unter sich begräbt, dieses von Tag zu Tag leben, weil eh alles am Arsch ist! Dem kann keiner entrinnen.

"Ich will mit dir schlafen", flüstert Alvaro mir nach knapp zwei Stunden ins Ohr (Orlando in Havanna hatte das schon nach 20 Minuten gefragt), während sich ein anderer zwischen uns schiebt und "Soy Cubano" - ich bin Kubaner - ruft. Als wäre das eine besondere Auszeichnung, die ihn prädestiniert mich meinem Kolumbianer auszuspannen. Zudem fehlte mir die kolumbianische Nation noch auf meiner internationalen Kopulationsliste. Sorry Mulato, Cubano, aber da ist nichts zu machen. Auch ich will mit Alvaro schlafen, habe aber keine Lust, ihn ins Apartment an der Security vorbei zu schleusen. Zu ihm können wir nicht, da er sich, nach seiner Scheidung und der Rückkehr aus Santiago de Chile, erstmal wieder bei Muttern einquartiert hat. Wir erwägen ein Stundenhotel zu nehmen, haben aber nicht genügend Geld dabei. Ich, versteht sich. Es war kaum anzunehmen, dass er etwas springen lassen würde. Obwohl er ja angeblich als Ingenieur bei Ecopetrol arbeitet. Ja, solche Ingenieure sind mir schon des Öfteren untergekommen! Zudem erinnere ich mich an desaströse Abenteuer in Stundenhotels in Bangkok und Tokyo. Es musste keines in Cartagena hinzukommen. Kurz versuchten wir uns in einem Hauseingang, der aber, wie wir feststellten, von anderen willigen Paaren bereits frequentiert war. Wahrscheinlich behielt die ganze Sache sowieso an Spannung, wenn wir den Vollzug auf den nächsten Abend verschoben. Oder wurde ich alt? War ich mir nicht sicher? Oder einfach zu besoffen? Es würde sich erweisen, ob ich genügend Biss hatte, ihn nochmal zu treffen und er sich noch erinnern würde, dass es für ihn "Liebe auf den ersten Blick" war. Wie oft hatte ich schon diesen Satz gehört. Gut, für die jeweilige Nacht traf er in den meisten Fällen auch zu.
Liebe ist eben vergänglich. Manchmal lässt sich die Liebe mit einem Leoparden vergleichen: Schnell und wild und nach kurzer Distanz ermattet. Und manchmal hält sie auch nur wie kolumbianischer Nagellack: genau eine Nacht lang. Und manchmal ist der Lack ab, bevor es überhaupt zur Sache geht. Was für Alvaro sprach, oder für mich, er ist komplett nüchtern, weil er am nächsten Morgen ein wichtiges Fussballspiel in irgendeiner Meisterschaft vor sich hatte. Wie sagte Berti Vogts schon immer: Kein Sex vor dem Spiel. Und so sollte es auch sein. Eigentlich sagte er "Sex vor einem Spiel? Das können meine Jungs halten, wie sie wollen. Nur in der Halbzeit, da geht nichts." Da war jetzt eben Halbzeit. Berti sagte aber auch: "Die Breite in der Spitze ist unglaublich gross". Durfte ich hoffen? Etwas widerwillig begleitete mich Alvaro zum Taxistand und liess mich fahren. Als ich gegen Zwei im Apartment ankam, stand der Gatte schon im Gang und bat mich mit aller Dringlichkeit eines angeschärften Liebhabers um ein Kondom. Musste sich Mutter eigentlich um alles kümmern? Auch Gleitgel forderte er ungeduldig ein. Da musste ich leider passen. Noch glitt bei mir alles ohne Problem. Als ich in mein Zimmer ging, wagte ich einen Blick in des Gatten Kammer. Unter dem weissen Laken lugte ein pralles, braunes Ärschlein hervor. Wie immer hatte er vor mir zugeschlagen.
Fortsetzung erfolgt am Donnerstag, 18.4.2013

 

 

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