Donnerstag, 25. April 2013

Auf Escobars Spuren, Teil XII



Fortsetzung vom 18.4.2013
Der erwähnte Ausflug entpuppte sich als der schlechtorganisierteste Höllentrip, den ich je mitgemacht habe. Mit einer Stunde Verspätung und zwölf jungen Typen mit je einer Flasche Wodka Absolut im Handgepäck, ging es in einer fliegenden Nussschale, genannt Schnellboot, bei ziemlichem Wellengang aufs Meer hinaus. Was wirklicher Wellengang ist, wurde mir allerdings erst bei der Rückfahrt bewusst, sodass im Nachhinein betrachtet die Hinfahrt als eine lasche Sonntagsausfahrt bezeichnet werden kann. Jedenfalls sprang das Ding, also das Scheissboot, auf dem Rückweg bei jeder verkackten Welle, und es gab jede Menge, riesige, davon, gefühlte zwei Meter in die Höhe und bretterte ungebremst mit voller Wucht auf Stahlbeton herunter, zu dem sich das Wasser immer kurz, bevor wir auftrafen, zu verwandeln schien. Neben der illustren Gesellschaft gesellten sich jeweils noch einige blinde Passagier hinzu, die an verschiedenen Dörfern - auf Abfallbergen errichtete Wellblechhütten - aus- oder zustiegen und die Nussschale fast zum kentern brachten. Kurz hinterm herausgeputzten Kolonialschmuckstück Cartagena beginnt also die 3. Welt. Im Boot war es eng (ungewollte Tuchfühlung mit dem 2. Kapitän) und heiss (pralle Sonne, 90 Grad) und meine eigentlich gut gepolsterten Gebeine prallten ständig an die furchtbar harten, kantigen Innenseiten der Höllenmaschine, dass ich morgen aussehen werden, als hätte der Gatte mich verprügelt. Die mitreisenden Jungs waren schnell volltrunken und auf der Rückfahrt fütterte die Hälfte von ihnen die Fische mit dem unverdauten Mittagessen.
Apropos Fische: Weil die Zeiten aufgrund der unvorhergesehenen Haltepunkte und weil der Bootsführer ständig private Besorgungen zu erledigen hatte, nicht eingehalten wurden, geriet der ganze Plan (obwohl, welcher Plan?) durcheinander, sodass mir die angekündigten Delfine mehrheitlich entgingen. Richtig, Delfine sind keine Fische, sondern Säugetiere, aber die Flossen, die sie mal kurz aus dem Wasser hielten und mir damit zuwinkten, sahen sehr nach Hai aus. Und so passt's ja wieder. Eine Riesenschildkröte verschwand in einer Unterwasserhöhle, als sie mich herannahen sah und irgendein weisses Federvieh schiess mir auf die Schulter. Gastfreundschaft sieht anders aus meine lieben tierischen Freunde. Irgendwann wurden wir am Playa Blanca abgesetzt - zum Lunch gab's Fisch and Flies - und 25 Minuten vor der abgesprochenen Abfahrtszeit wieder abgeholt. Am Ende fehlten einige Passagiere, die das Boot verpasst hatten und wahrscheinlich jetzt noch auf der Insel ums Überleben kämpfen. Dafür kamen neue Leute hinzu, weiss der Teufel, woher die plötzlich kamen. Übriggebliebene vom letzten Jahr? Ich hatte mich den ganzen Tag einsam und verlassen gefühlt und konnte das vermeintliche Paradies gar nicht richtig geniessen. Vielleicht lag es daran, dass es der Gatte in der Tat nicht auf den Trip geschafft hatte. Er wurde gestern Nacht von einem Mitglied der Abba-Bande mit k.o.-Tropfen betäubt und ausgeraubt. Beute: eine Tissot-Uhr, eine goldene Kette, alles Geld, eine Ray-Ban-Sonnenbrille und das iPhone. Das verdammte Mistfrettchen hatte ganze Arbeit geleistet. Fürwahr ein teures Vergnügen, dass sich da der Gatte geleistet hatte. Fast zeitgleich wurde meine Freundin in Barcelona ihres ganzes Geldes entledigt. Sieht ganz so aus, als seien die Spanier und ihre südamerikanischen Abkömmlinge mit Vorsicht zu geniessen. Am Ende dieses Tages bin ich jedenfalls sehr froh, dass der Gatte den perfiden Raubzug unbeschadet überlebt hat. Und ich den Höllentrip übers Meer.
Ich überlege, ob ich Alvaro noch ein letztes Mal treffen soll. Der Sex war gut genug, um ihn zu wiederholen und auszubauen. Was rede ich denn da? Hat mir jemand ins Gehirn geschissen? Der Sex war eigentlich gar nicht gut. Okay, er war nicht wirklich schlecht, aber gut ist anders. Es ist wieder eine Sache des Nicht-Loslassen-Wollens. Ich muss die Dinge ordnungsgemäss abschliessen. Da bin ich ganz deutsch. Widerlich. Andererseits, wenn ich für ihn Liebe auf den ersten Blick war und ich tatsächlich seine schöne Königin wäre, könnte er ja auch mal ein bisschen Aktivität an den Tag legen und sich um einen Anruf bemühen. Das kostet jedoch und bei Urlaubsliebschaften steht das Kostensparen immer ganz oben auf der Prioritätenliste. Noch vor dem Sich-selbst-in-das-Land-der-Angebeteten-einladen. Vielleicht sollte ich es mir heute Abend einfach schnell selbst besorgen und der Fall wäre abgehakt. Selbst ist die moderne Königin. Aber man soll die Angelegenheiten korrekt erledigen und zum Abschluss bringen, sonst geistern sie einem länger als nötig im Kopf herum.

Gewisse Dinge erledigen sich allerdings von selbst. Als ich Alvaro anrufe, bricht zuerst das Mobilfunknetz zusammen. Später eröffnet er mir, dass er gerade in Barranquilla weilt. Uns trennen also nicht nur Welten, sondern jetzt auch 115 Kilometer. Irgendwie ist es ihm entfallen, dass ich am nächsten Tag abreise. Vielleicht hat er auch extra die Stadt verlassen. Vielleicht sitzt er auch 5 km Luftlinie von mir entfernt und hofft, dass ich mich verpisse. Meine Stimmung entspricht einem Cocktail aus Enttäuschung und Erleichterung. Ich kippe ihn in einem Zug runter und widme mich anderen Freizeitbeschäftigungen. Der Gatte, der sich nach dem Raubzug der Frette noch in leichter Schockstarre befindet, hat inzwischen mehrere Drinks zur Auflockerung ebendieser genossen und war, um der Wirkung des Gesöffs entgegenzuwirken, bereits dreimal auf dem Klo zum Nase pudern. Er hat ein Gedächtnis wie ein Goldfisch, nach einer Sekunde ist alles, was vorher passierte, vergessen und gelöscht. Der Geist des Gatten ist schwach. Glücklicherweise ist sein Körper stark. Ich hätte schon längst die Segel gestrichen. Ich warte auf den finalen Kollaps und hoffe, dass ich da nicht dabei sein muss. Allerdings muss ich zugeben, dass ich, da Sex auf der heutigen Agenda gestrichen ist, selbst auch ein bisschen Koks koste. Zu Studien- und Kompensierungszwecken versteht sich. Ich erledige das versehentlich auf der Herrentoilette. Ein Indiz dafür, dass bereits der vorangeschüttete Alkohol zu viel für mich war. Der Gatte hingegen kennt keine Grenzen. Er verabschiedet sich für "nur einen Drink" in eine Bar, um ein letztes Mal seine Chancen auszutesten. Ich hoffe schwer, dass er das Apartment unbeschadet und allein erreicht. Ausrauben kann man ihn zumindest nicht, es ist ja nichts mehr zu holen.

Als wir am 4. August 2012 nach einer 19-stündigen Reise in Zürich ankommen, ist es so wie immer: Der Sommer schwächelt, der Himmel ist taubengrau, keiner erwartet uns. Höchste Zeit, den nächsten Trip zu planen.

E N D E

(Alle Fotos: Susann Klossek, Kolumbien/Ecuador 2012)

 

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